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Rationale und rationelle Pharmakotherapie in der Praxis Gestaltet von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen Jhrg. 19,  Nr. 4  –  Dezember 2014

Am Puls der Zeit: Chronopharmakologie Jeder kennt sie, jeder hat sie: Die innere Uhr. Auch in der Pharmakologie ist sie wichtig, denn die Wirkung vieler Medikamente unterscheidet sich je nach Zeitpunkt der Einnahme. Das können Sie nutzen, indem sie dem Patienten wissenschaftlich fundiert entsprechende Empfehlungen zur Einnahme geben – und auf diese Weise die Therapie noch effizienter machen. Eine Übersicht zu diesem Thema samt Seite 4 Erläuterung der zugrunde liegenden Physiologie finden Sie auf

Patient steuert seine antihypertensive Therapie selbst

Kann er so seine Prognose verbessern? Die Blutdruck-Selbstmessung ist ja nichts Ungewöhnliches. Aber sollten die Patienten die Messwerte nicht nur dokumentieren, sondern damit auch gleich die medikamentöse Therapie des Bluthochdrucks selbst anpassen? Das wird wohl kaum mit allen Patienten funktionieren, aber eine neue Untersuchung in englischen Allgemeinpraxen spricht dafür, dass ausgewählte Hypertoniker durchaus auf diese Weise an ihrer antihypertensiven Therapie mitarbeiten und Seite 11 ff damit ihre Prognose verbessern können.

Wundmanagement in der hausärztlichen Praxis Die Behandlung chronischer Wunden fordert einiges an Geduld. Verständlich, dass Patienten und Pflegepersonal in dieser Situation gerne zu den vielen neuen und teuren Wundauflagen greifen. Unterstützt werden sie dabei vor allem in den Heimen von den sogenannten Wundmanagern, von denen manche direkt mit einem Hersteller von Wundauflagen verbandelt sind. Ob eine solche Behandlung wirklich notwendig und sinnvoll ist, steht jedoch auf einem ganz anderen Blatt. Sicher ist dagegen: Der zu Recht oft zurückhaltend behandelnde Hausarzt hat hier Seite 16 ff einen schweren Stand.

Die „Choosing-wisely“-Kampagne

Pragmatische Aktion gegen die Überversorgung Antibiotika bei viralen Atemwegs-Infektionen oder Röntgenuntersuchungen bei unkomplizierten akuten Kreuzschmerzen sind keine Seltenheit, aber dennoch oft unnötig. Einige Verhaltensweisen haben sich eben in den Köpfen vieler Kollegen festgesetzt, obwohl wir im Grunde wissen, dass sie nicht in Ordnung sind. Dagegen will in den USA die inzwischen von vielen Fachgesellschaften unterstützte Kampagne „Choosing wisely“ ankämpfen. Die Empfehlungen, die dabei herausgegeben Seite 27 werden, sind auch für deutsche Verhältnisse von Bedeutung.

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Editorial

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Nr. 4 / 2014

Ist die Richtgrößenprüfung bald Geschichte?

Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege, nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Richtgrößenprüfung ab 2017 gestrichen und durch andere Prüfmaßnahmen ersetzt werden. So steht es im Entwurf des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (GKV-VSG). Konkret heißt es darin, dass ab 2017 die Wirtschaftlichkeit der Versorgung mit ärztlich verordneten Leistungen anhand von Vereinbarungen der Vertragspartner der ärztlichen Selbstverwaltung auf Landesebene geprüft wird. Dabei sind die Vertragspartner bei der Ausgestaltung der Prüfungen grundsätzlich frei. Auf Bundesebene sind allerdings über Rahmenvorgaben Mindeststandards zu definieren, die Grundlage für die weiterhin regional zu vereinbarenden Arznei- und Heilmittelvereinbarungen sind. Darin können über die Mindeststandards hinaus weitere Festlegungen zu prüfrelevanten Versorgungszielen (z.B. Leitsubstanzquoten, Generikaanteile) getroffen werden. Zusätzlich wird es möglich sein, Prüfungen anderer Bereiche ärztlich verordneter Leistungen, wie z.B. Krankentransportleistungen oder Häusliche Krankenpflege, zu vereinbaren. Die teilweise verbreitete Freude, dass nun in Zukunft die Richtgrößenprüfung entfällt, kann ich noch nicht so recht teilen. Klar ist jetzt schon, dass es auch weiterhin eine Prüfung in diesem Bereich geben wird, wie diese ausgestaltet wird bleibt abzuwarten. Wenn jetzt im Gesetzentwurf eine Formulierung enthalten ist, dass auf der Grundlage von regionalen Vereinbarungen „Rückzahlungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise“ vereinbart werden können, so halte ich das nur für eine neue Begrifflichkeit für das Wort Regress. Somit ist eines jetzt schon sicher: Wir werden in den Verhandlungen mit den Krankenkassen darauf dringen müssen, dass die neuen Prüfmaßnahmen nicht dazu führen werden, noch intensiver als bisher zu prüfen, sondern vielmehr in Art und Umfang akzeptabel sein werden und Strafzahlungen, wie auch immer sie genannt werden, nicht erfolgen können. Der Gesetzentwurf wird im kommenden Jahr im Bundestag beraten und solche Regelungen würden frühestens 2016 in Kraft treten. Hoffen wir, dass im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens noch sinnvolle Änderungen erfolgen, wir werden uns dafür intensiv einsetzen. Ich wünsche Ihnen eine schöne Adventszeit.

Ihr

Burkhard John

Nr. 4 / 2014

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Editorial 2 Am Puls der Zeit: Chronopharmakologie bringt in der Praxis einige Vorteile

4

ADVANCE-ON: Blutdrucksenkung bei Diabetikern

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b-Blocker bei Herzinsuffizienz mit Vorhofflimmern

10

Können Patienten ihre antihypertensive Therapie anhand der RR-Werte selbst steuern?

11

Arterielle Hypertonie: Selbst-Messung und Selbst-Titration der Medikamente verbessert Blutdruckwerte

12

Wie Leitlinien zu einer Verhaltensänderung in der Verschreibungspraxis führen

14

Wundmanagement in der hausärztlichen Praxis

16

Allmächtige Wundmanager, fast ohnmächtige Hausärzte

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Neue Behandlungsmöglichkeiten bei der chronischen Hepatitis C Je nach Patientensubgruppe unterschiedlicher Zusatznutzen für Sofosbuvir

21

COPD bei älteren Patienten Kombination aus langwirksamen Beta-Agonisten und inhalierten Kortikosteroiden wirkt besser

23

Alternativen zu Tetrazepam

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Die „CHOOSING WISELY”-Kampagne Pragmatisch gegen Überversorgung

27

Neue orale Antikoagulanzien (NOAK) und Gerinnungstests

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Praxisbesonderheit bei Arzneimitteln mit Zusatznutzen

37

Hijacking von schutzlosen Patienten

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Fahrtauglichkeit von Diabetikern

38

Durchbruch in der Behandlung von Patienten mit Alopecia areata?

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S1-Leitlinie – mit der Lupe eines Kardiologen gelesen

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Neue „Wundermittel“

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Acitretin – teratogene Effekte langfristig ausschließen

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Empfohlener Zielblutdruck zu niedrig?

41

SGLT2-Inhibitoren gegen Diabetes: Gemeinsamer Bundesausschuss sieht keinen Zusatznutzen

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Bewertungen von Arzneimittelrisiken

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S1-Leitlinie zu den neuen oralen Antikoagulanzien bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern

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Impressum

Verlag: XtraDoc Verlag Dr. med. Bernhard Wiedemann, Winzerstraße 9, 65207 Wiesbaden Herausgeber und verantwortlich für die Inhalte: Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurt (www.kvhessen.de) Redaktionsstab: Dr. med. Joachim Fessler (verantw.), Dr. med. Christian Albrecht, Petra Bendrich, Dr. med. Klaus Ehrenthal, Dr. med. Margareta Frank-Doss, Dr. med. Jan Geldmacher, Dr. med. Harald Herholz, Klaus Hollmann, Dr. med. Günter Hopf, Dr. med. Wolfgang LangHeinrich, Dr. med. Alexander Liesenfeld, Dr. med. Uwe Popert, Karl Matthias Roth, Dr. med. Joachim Seffrin, Dr. med. Gert Vetter, Dr. med. Michael Viapiano, Dr. med. Jutta Witzke-Gross. Fax Redaktion: 069 / 79502 501 Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt; Prof. Dr. med. Sebastian Harder, Institut für klinische Pharmakologie der Universität Frankfurt

Die von Mitgliedern der Redaktion oder des Beirats gekennzeichneten Berichte und Kommentare sind redaktionseigene Beiträge; darin zum Ausdruck gebrachte Meinungen entsprechen der Auffassung des Herausgebers. Mit anderen als redaktionseignen Signa oder mit Verfassernamen gekennzeichnete Beiträge geben die Auffassung der Verfasser wieder und decken sich nicht zwangsläufig mit der Auffassung des Herausgebers. Sie dienen der umfassenden Meinungsbildung. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser Veröffentlichung berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- oder Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Wie alle anderen Wissenschaften sind Medizin und Pharmazie ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere, was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in dieser Broschüre eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autor und Herausgeber große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angaben dem Wissensstand bei Fertigstellung der Broschüre entsprechen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Herausgeber jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers.

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Am Puls der Zeit: Chronopharmakologie bringt in der Praxis einige Vorteile Ein Beitrag aus dem Verordnungsforum unseres Kooperationspartners, der KV Baden-Württemberg Die innere Uhr – jeder kennt sie, jeder hat sie. Wo sie sich befindet? Die sogenannte „Master-Clock“ ist im Nucleus suprachiasmaticus (SCN) lokalisiert und verantwortlich für die Ausprägung des zirkadianen Rhythmus („zirka ein Tag“).

Einige Arzneimittel wirken je nach Tageszeit unterschiedlich stark. Wenn man ihren optimalen Einnahme-Zeitpunkt kennt, kann man sie effektiver einsetzen und unerwünschte Nebenwirkungen reduzieren.

Gesteuert wird die MasterClock zusätzlich über äußere Zeitgeber (vor allem durch den Hell-Dunkel-Zyklus). Über die Melatoninausschüttung wird so im Tierreich normalerweise der Tag-NachtRhythmus reguliert. Beim Menschen ist durch geändertes Sozialverhalten und bestimmte Lebensumstände der SchlafWach-Rhythmus jedoch oft bedeutsamer [1, 4]. Letzten Endes folgen weite Teile der Physiologie einem 24-Stunden-Rhythmus. Ausdruck findet dies beim Schlaf, aber auch bei der Regulierung der Körpertemperatur, des Blutdrucks, der Hormonausschüttung sowie generell beim Metabolismus. Die Forschungsergebnisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Fähigkeit zur Ausbildung einer gewissen Rhythmik nicht nur der SCN besitzt, sondern fast allen peripheren Geweben in die Wiege gelegt wurde. So können regional und unabhängig von der „Hauptzentrale“ (im Normal-

fall erfolgt jedoch eine Synchronisation mit dem SCN) wichtige Prozesse gesteuert werden und zugleich ist es der Peripherie möglich, auf äußere Einflüsse zu reagieren.

Beispielweise zeigt fast jedes Neurotransmittersystem entweder einen eigenen Rhythmus oder interagiert direkt mit einem Zeitgeber [6]. Auch bei den Hormonen finden sich diese tageszeitlichen Schwankungen: So beeinflusst die zirkadiane Gastrinfreisetzung im Zusammenspiel mit lokalen Zeitgebern im GI-Trakt (Nahrungsaufnahme) die Verdauungsfunktion. Ebenso unterliegt der Thyreotropinspiegel (TSH) tageszeitlichen Schwankungen [7]. In der Leber spielen zirkadian exprimierte Gene eine wichtige Rolle bei der Entgiftung. Gleiches gilt für die Niere, bei der die Durchblutung (renal blood flow = RBF), die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) und weitere Parameter einem Rhythmus unterliegen [6]. Im Körper laufen viele metabolische Prozesse oszillierend ab (zum Beispiel Fett- und Glukosestoffwechsel). Dies erfolgt durch das kontrollierte rhythmische Ablesen von Genen und der Produktion der entsprechenden Enzyme. Es ist erwiesen, dass beispielsweise Schlafentzug oder Schichtarbeit den Rhythmus der Ausschüttung von

Schritte in der Arzneistoffkinetik Zeitabhängige physiologische Funktionen Absorption im Magen-Darm-Trakt Durchblutung, Magen-pH, Säuresekretion, Motilität, Magenentleerung, Aktivität in Ruhe Distribution Durchblutung des Darms, Blutverteilung, peripherer Widerstand, Proteinbindung, Aktivität in Ruhe Hepatischer Metabolismus Durchblutung der Leber, First-Pass-Effekt, Enzymaktivität, Aktivität in Ruhe Renale Elimination Durchblutung, renaler Plasmafluss, glomeruläre Filtration, renale Exkretion, Urin-pH, Elektrolyte Tabelle 1: Arzneistoffkinetik bei zeitabhängigen Funktionen

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Foto: PT DLR/BMBF

Auch wenn es nur einmal täglich nötig ist: Ob der Patient ein Medikament am Morgen oder am Abend einnimmt, kann die Wirkung und die Nebenwirkungen erheblich beeinflussen. Melatonin und Wachstumshormonen stören, die Insulinempfindlichkeit reduzieren und den Cortisonspiegel erhöhen [1]. Die verschiedenen Zeitgeber (zentral: SCN/ Peripherie) scheinen nicht synchron zu arbeiten. Untersuchungen liefern Hinweise, dass hierdurch die Ausbildung eines metabolischen Syndroms begünstigt wird [1].

Im Lauf des Tages reagiert der Körper ganz unterschiedlich Es ist nachvollziehbar, dass auch die Wirkung von Arzneimitteln auf den unterschiedlichsten Ebenen moduliert werden kann. Man spricht bei einer Beeinflussung des Verlaufes der Blutspiegelkurve von Chronopharmakokinetik (CPK). Als einfachstes Beispiel sei hier die Beeinflussung der Resorption genannt. Da die meisten oral gegebenen Arzneistoffe über keine aktiven Transportmechanismen verfügen, sind die Magenentleerungszeit, die Magendurchblutung sowie der pH-Wert von großer Bedeutung bei der Resorption [5, 6]. Relevant wird dies besonders bei lipophilen Wirkstoffen in nicht retardierter Form. Demnach erreichen diese Stoffe bei erhöhter Passagezeit und Durchblutung schneller die maximale Wirkstoffkonzentration, was zu Nebenwirkungen führen kann. Es wurde gezeigt, dass gerade in der Nacht und am frühen Morgen diese Parameter erhöht sind.

Wird die Empfindlichkeit des Zielorgans verändert, spricht man von Chronopharmakodynamik (CPD) [4]. Beispielsweise verdoppelt sich bei einer Heparininfusion (über zwei Tage) nachts der antikoagulative Effekt [2]. Bei Toxizitätsuntersuchungen am Tier fluktuiert die LD50 (Dosis mit 50 Prozent toten Tieren) von Halothan zwischen fünf und 76 Prozent, je nachdem zu welcher Tageszeit die Tiere der Wirkstoffdosis ausgesetzt sind. Eine solche Tagesrhythmik im Zielorgan kann deshalb auch zu einer pulsierenden Symptomatik einer Krankheit führen – dabei spricht man von Chronopathologie. Genaue Kenntnisse der tageszeitlichen Rhythmik der Körperphysiologie in Verbindung mit chronopharmakokinetischen Gegebenheiten ermöglichen so eine Optimierung der Therapie, Vermeidung von Nebenwirkungen sowie Verbesserung der Wirkung. Diese Faktoren müssen auch bei der Beurteilung der therapeutischen Breite eines Arzneistoffes mit einbezogen werden [5]. Auch das kardiovaskuläre System unterliegt zirkadianen Schwankungen. Humorale und nervale Mechanismen beeinflussen Blutdruck, Herzfrequenz, Schlagvolumen, Durchblutung sowie den peripheren Widerstand [5]. Klinisch zeigt sich diese Rhythmik an der Häufung von Herzinfarkten, pektanginösen Beschwerden, Schlaganfällen und plötzlichem Herztod in den frühen

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Arzneimittel

Cmax [μg/l]

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tmax [h]

morgens

abends

morgens

abends

Digoxin

3,6*

1,8

1,2

3,2

Doxazosin

17,0

15,8

3,5

5,6

Enalaprilat

46,7

53,5

3,5*

5,6

1605,0

1588,0

0,9*

2,1

IS-5-MN retardierte Arzneiform

509,0

530,0

5,2

4,9

Propranolol

38,6*

26,2

2,5

3,0

Verapamil

59,4*

25,6

1,3

2,0

Verapamil retadiert

389,0

386,0

7,2*

10,6

IS-5-MN normale Arzneiform

morgens ≥ abends

Theophyllin Diazepam

250,0*

170,0

morgens ≥ abends

NSAR Sertralin

24,5

24,4

morgens ≥ abends 1,0*

2,0

morgens ≥ abends 7,0

7,3

Cmax = maximale Arzneistoffkonzentration tmax = Zeit bis zum Erreichen von Cmax * Signifikanz morgens vs. abends (p mindestens 180/100 sehr schön zeigt, dass Patienten, die motiviert beziehungsweise motivierbar sind, mmHg oder systolisch Apixaban [7]. Im Talspiegel überschrittene Grenzwerte ausgewählter Gerinnungstests können bei Dabigatran auf ein erhöhtes Blutungsrisiko hinweisen (vergleiche Tabelle 3). Für Rivaroxaban und Apixaban werden in den jeweiligen Fachinformationen bisher keine Laborwerte angegeben, die Rückschlüsse auf ein erhöhtes Blutungsrisiko zulassen [12, 13]. Nachfolgend werden je NOAK-Wirkstoffgruppe Testverfahren dargestellt, die in kritischen Situationen (akute Blutungen, Notfalleingriffe) zur Beurteilung des Blutungsrisikos herangezogen werden können.

Direkte Faktor-Xa-Inhibitoren (Rivaroxaban und Apixaban) Thromboplastinzeit (TPZ) oder Prothrombinzeit (PTZ) Laut Angaben des Herstellers von Xarelto® (Rivaroxaban) eignet sich die Prothrombin-Zeit (gemessen in Sekunden) in Verbindung mit Neoplastin plus als Reagenz zum Monitoring

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[14]. Die PTZ (= TPZ) reagiert sensitiv und zeigt eine lineare Korrelation mit steigenden Plasmakonzentrationen von Rivaroxaban [14]. Um die Ergebnisse interpretieren zu können, sollten jedoch die interindividuelle Variabilität der Plasmakonzentrationen sowie der letzte Einnahmezeitpunkt berücksichtigt werden [16, 17]. Chromogener Anti-Faktor-Xa-Assay (zum Beispiel Biophen® DiXa-I, STA®-Liquid AntiXa und Technochrom® anti-Xa) [18-20] Der Anti-Faktor-Xa-Assay dient zur quantitativen Bestimmung von Faktor-Xa-Inhibitoren (Rivaroxaban, Apixaban) und muss wirkstoffspezifisch kalibriert werden. Da die FaktorXa-Bestimmung auch zur Kontrolle von Fondaparinux, unfraktioniertem und niedermolekularem Heparin verwendet werden kann, können die Ergebnisse bei gleichzeitiger Applikation mehrerer Faktor-Xa-Inhibitoren verfälscht sein (Biophen® DiXa-I ist spezifisch für die BeZeitpunkt der Blutabnahme (bezogen auf die letzte Tabletteneinnahme) zur Bestimmung der Spitzen- und Talspiegel bei NOAK

Rivaroxaban Apixaban Dabigatran 2-4 h 3-4 h 2h Spitzenspiegel 24 h 12 h 12 h* Talspiegel * Bei 1x täglicher Einnahme, wie bei der VTE-Prophylaxe, Messung des Talspiegels nach 24 h

Tabelle 2: Blutentnahmezeitpunkte zur Bestimmung der Spitzenund Talspiegel unter NOAK [9, 10]

Dabigatran Test VTE-Prävention Prävention von (Talspiegel1 x tägl. 220 mg Schlaganfällen messung) und systemischen Embolien 2 x tägl. 150 mg Hemoclot® > 67 > 200 (dTT* [ng/ml]) ECT keine Daten >3 (x-Faches der oberen Norm) aPTT > 1,3 >2 (x-Faches der oberen Norm) * Bei 1x täglicher Einnahme, wie z. B. bei der VTE-Prophylaxe, Messung des Talspiegels nach 24 h.

Tabelle 3: Grenzwerte von Gerinnungstests unter Dabigatran, die auf ein erhöhtes Blutungsrisiko hinweisen können [22]

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um einen Gerinnungstest, der die quantitative Bestimmung von direkten ThrombinInhibitoren ermöglicht (zum Beispiel Dabigatranetexilat, Hirudin). Aufgrund fehlender Standardisierung können die Ergebnisse zwischen verschiedenen Laboren erheblich variieren. Der Test eignet sich nur zur quantitativen Bestimmung von Thrombin-Inhibitoren. Faktor-Xa-Inhibitoren haben auf die ECT keinen Einfluss.

stimmung von direkten Faktor-Xa-Inhibitoren). Dabigatran hat als Thrombin-Inhibitor keine Auswirkung auf die Ergebnisse der chromogenen Anti-Faktor-Xa-Bestimmung.

Direkte Thrombin-Inhibitoren (Dabigatran) Hemoclot®-Thrombininhibitor-Assay (HTI) Der Hemoclot®-Thrombininhibitor-Assay ist ein Gerinnungstest zur quantitativen Bestimmung von direkten Thrombin-Inhibitoren (z. B. Dabigatran, Hirudin). Er basiert auf der Hemmung einer definierten, konstanten Menge an Thrombin durch direkte ThrombinInhibitoren [21]. Die gemessene Zeit (dTT) bis zur Bildung des Gerinnsels ist proportional zur Plasmakonzentration in der Probe. Ecarin clotting time (ECT) Bei der Ecarin clotting time handelt es sich

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Aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT)

Die aPTT wird durch Dabigatran verlängert und ermöglicht eine „grobe Abschätzung der Gerinnungshemmung“ [22]. Die Sensivität des aPTT-Tests ist jedoch limitiert und reicht für eine genaue Quantifizierung der Gerinnungshemmung, vor allem bei hohen Dabigatran-Plasmakonzentrationen, nicht aus.

Labortests zur Einschätzung des Blutungsrisikos unter NOAK im Bedarfsfall Rivaroxaban, Apixaban Prothrombinzeit, gemessen in Sekunden mit Neoplastin® plus als Reagenz (Rivaroxaban) lineare Dosis-Wirkungsbeziehung, jedoch keine Korrelation mit aufgetretenen Blutungen [14] Chromogener Faktor-Xa-Assay Bestimmung der Plasmawirkstoffspiegel*, jedoch bisher keine evidenten Grenzwerte für ein erhöhtes Blutungsrisiko vorhanden Dabigatran Thrombinzeit = Normalwert relevante Dabigatranwirkung nicht vorhanden Hemoclot®-Thrombininhibitor-Test Bestimmung der Plasmawirkstoffspiegel* Hemoclot® > 200 ng/ml oder ECT 3- bis 4-fach verlängert oder Hinweis auf ein erhöhtes Blutungsrisiko (Akkumulation)! aPTT > 2-fach (> 80 s) im Talspiegel

}

* Cave: hohe interindividuelle Variabilität der Plasmaspiegel (Variationskoeffizient bei Dabigatran ca. 80 %, bei Rivaroxaban und Apixaban ca. 30-40 %) [8].

Abrechnungsfähigkeit von Gerinnungstests und speziellen Untersuchungen/ Spiegelbestimmungen bei NOAK-Einnahme Thromboplastinzeit und Prothrombinzeit können bei Bedarf nach folgenden GOP angefordert und erbracht werden: PTT: GOP 32112 Quick-Wert/INR aus Plasma: GOP 32113 Quick-Wert/INR aus Kapilarblut: GOP 32114 Quick-Wert/INR im Akutfall in der Praxis (als Regeluntersuchung meist unwirtschaftlich): GOP 32026 Die speziellen Untersuchungen und Spiegelbestimmungen (chromogener Anti-Faktor-Xa-Assay, Hemoclot-ThrombininhibitorAssay, Ecarin clotting time) sind üblicherweise den stationär versorgten Fällen vorbehalten und ambulant wenig sinnvoll; sie werden oft nur von spezialisierten Labors angeboten (GKV-Anforderung meist problematisch)

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Fazit NOAK beeinflussen alltäglich verwendete Laborparameter der Hämostase. Die Veränderung der herkömmlichen Gerinnungstests kann jedoch nicht zum Monitoring der NOAK verwendet werden, da sie keinen aussagekräftigen Rückschluss auf das aktuell vorliegende physiologische Gerinnungsvermögen zulässt. Routine-Gerinnungsanalysen können jedoch Anhaltspunkte für eine bestehende Überdosierung liefern und einen Hinweis auf das Vorliegen klinisch relevanter Wirkstoffdosen geben (wenn Thrombinzeit verlängert: Dabigatran im Plasma). Um die Testergebnisse genauer bewerten zu können, ist die Kenntnis des letzten Einnahmezeitpunktes notwendig. Inzwischen sind spezifische Tests zur Plasmawirkstoffspiegel-Bestimmung der NOAK auf dem Markt. Diese sind jedoch nicht zum routinemäßigen Monitoring vorgesehen, sondern zur Überprüfung in Notfällen oder bei Verdacht auf eine Überdosierung/Akkumulation. Aktuell liegen keine ausreichend gesicherten und klinisch relevanten oder evidenzbasierten Referenzbereiche für Tal- und Spitzenspiegelbestimmungen vor, um die gemessenen Plasmawirkstoffspiegel hinsichtlich des Blutungsrisikos beziehungsweise des Risikos eines thromboembolischen Ereignisses genauer einschätzen zu können. Gerade wegen des fehlenden Routine-Gerinnungsmonitorings bei NOAK ist die sorgfältige Anamnese der Patienten auf vorhandene Kontraindikationen und Einschränkungen entscheidend, damit das Auftreten möglicher Komplikationen durch die Auswahl des geeigneten Wirkstoffs und der angemessenen Dosierung vermieden werden kann. Wichtige Parameter, die vor der Verordnung von NOAK berücksichtigt werden sollten, sind neben der Nieren- und Leberfunktion vor allem Alter, Körpergewicht, Begleit­ medikation und gastrointestinale Erkrankungen der Patienten.

Literatur: 1 Asmis LM, Alberio L, Angelillo-Scherrer A et al.: Rivaroxaban: Quantification by anti-FXa assay and influence on coagulation tests: a study in 9 Swiss laboratories. Thromb Res 2012; 129: 492-8 2 Baglin T, Keeling D, Kitchen S: Effects on routine coagulation screens and assessment of anticoagulant intensity in patients taking oral dabigatran or rivaroxaban: guidance from British Committee for Standards in Haematology. Br J Haematol 2012; 159: 427-9 3 Stangier J, Nehmiz G, Reilly P et al.: Pharmaco*kinetics und pharmacodynamics of the oral direct thrombin inhibitor dabigatran in a dose finding trial in atrial fibrillation (abstract). J Thromb Haemost 2005; 3 (Suppl 1): OR271. 4 van Ryn J, Stangier J, Haertter S et al.: Dabigatran etexilate – a novel, reversible, oral direct thrombin inhibitor: Interpretation of coagulation assays and reversal of anticoagulant activity. Thromb Haemost 2010; 103: 1116-27. http://www.schattauer.de/de/ magazine/uebersicht/zeitschriften-a-z/thrombosis-andhaemostasis/contents/archive/issue/special/manuscript/12883/ download.html 5 Expertengruppe „Dabigatran and Anesthesiology“: Anwendung von Dabigatran in der Anästhesiologie. [Online] Oktober 2013. [Zugriff: 12. Mai 2014.] http://www.sgar-ssar.ch/fileadmin/user_

upload/Dokumente/Infos_zu_Medis/131107_Anwendung_von_ Dabigatran_in_der_An%C3%A4sthesiologie_D_final.pdf 6 Labor Enders. Dabigatran, Thrombinzeit. [Online] [Zugriff: 12. Mai 2014.] http://www.labor-enders.de/dabigatran.html 7 Epple C, Steiner T: Therapie von Blutungskomplikationen bei Antikoagulanzientherapie. Arzneimitteltherapie 2012; 30: 338-48. https://www.aerztekammer-bw.de/10aerzte/20fortbildung/ 20praxis/88arzneimitteltherapie/1211.pdf 8 Österreichische Gesellschaft für Laboratoriumsmedizin und Klinische Chemie: Neue orale Antikoagulantien. [Online] 27. Februar 2013.[Zugriff: 12. Mai 2014.] http://www.oeglmkc.at/oak/ 9 Barthels M: Das Gerinnungskompendium, Seite 808. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, Dezember 2012 10 Ringwald J: NOAK im klinischen Alltag. Transfusionsmedizin UK Erlangen. [Online] Mai 2014. [Zugriff: 22. Mai 2014.] 11 Lindhoff-Last E: Labor-Monitoring neuer plasmatischer Gerinnungshemmer, Seite 10. KGU Gefäßzentrum Frankfurt am Main. [Online] 25.02.2012. [Zugriff: 23. Mai 2014.] http://www4.asklepios.com/ asklepiosCMS/webpageUpload/707-393619__LINDHOFF-LAST_ Monitoring_neue_Antikoagulantien_Hamburg.pdf 12 Fachinformation Xarelto® 20 mg Filmtabletten. [Online] Bayer Pharma AG, November 2013. [Zugriff: 22. Mai 2014.] http:// www.antithrombose.de/datafiles/wdcms/fachinformationen/Xarelto-20mg-Filmtabletten.pdf

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Fachinformation Eliquis® 5 mg. [Online] Bristol-Myers Squibb GmbH & Co. KGaA, April 2014. [Zugriff: 22. Mai 2014.] http:// www.fachinfo.de/#suche/fi/014392 Broschüre: Alles auf einen Blick, Gerinnungstests, S. 12. [Online] Bayer Vital GmbH, Dezember 2012. [Zugriff: 07. Mai 2014.] http://www.antithrombose.de/media/upload/files/2013/06/18/ Folder_Alles_auf_einen_Blick_Dez_2012.pdf Koscielny J, Bayer-Westendorf J, von Heymann C et al.: Blutungsrisiko und Blutungsnotfälle unter Rivaroxaban. Hämostaseologie 2012; 32: 288. http://www.schattauer.de/de/magazine/uebersicht/zeitschriften-az/haemostaseologie/inhalt/archiv/issue/1601/ manuscript/18637.html Lindhoff-Last E, Samama MM, Ortel TL et al: Assays for measuring rivaroxaban: their suitability and limitations. Ther Drug Monit 2010; 32: 673-9 Mani H, Hesse C, Stratmann G et al.: Rivaroxaban differentially influences ex vivo global coagulation assays based on the administration time. Thromb Haemost 2011; 106: 1-9. https://www5. medicine.wisc.edu/~williams/rivaroxaban_lab_effects_2013.pdf CoaChrom Diagnostica. BIOPHEN® DiXa-I, Chromogene Methode zur Bestimmung von direkten Faktor-Xa-Inhibitoren (DiXa-I).

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[Online] CoaChrom Diagnostica GmbH, Wien, 17.04.2013. [Zugriff: 12. Mai 2014.] http://www.coachrom.com/docs/ hyp/221030_de.pdf Stago. STA®-Rivaroxaban Calibrator & STA®-Rivaroxaban Control. [Online] Diagnostica Stago S.A.S., Mai 2012. [Zugriff: 5. Juni 2014.] http://webde.stago.com/produkte-serviceleistungen/ neue-produkte/detail/article/staR-rivaroxaban-calibrator-staRrivaroxaban-control-cegekennzeichnet/ Technoclone Diagnostics. TECHNOCHROM® anti-Xa (AT+) TECHNOCHROM®anti-Xa. [Online] Technoclone GmbH, Wien, Februar 2011. [Zugriff: 12. Mai 2014.] http://www.technoclone. com/pdf/folder-deutsch/files/C002D-002_Technochrom% 20anti-Xa-.pdf CoaChrom Diagnostica GmbH. HEMOCLOT THROMBIN INHIBITORS. [Online] 17. September 2013. [Zugriff: 07. Mai 2014.] http://www.coachrom.com/docs/hyp/CK002K_de.pdf Fachinformationen Pradaxa® 110 mg und 150 mg Hartkapseln. [Online] Boehringer Ingelheim International GmbH, Dezember 2013. [Zugriff: 22. Mai 2014.]

Anmerkungen der Redaktion zum Thema NOAK Laborkontrollen sind bei den NOAK nicht erforderlich und auch nicht möglich: Das heißt, wir können nicht kontrollieren, wie die Gerinnung eingestellt ist. Es gibt kein Antidot: Was bedeutet das bei Unfällen oder akuten Eingriffen? Es gibt keine validierte Vorgehensweise für elektive Eingriffen. Die Begründung: Das NOAK muss nur ca. 24 Stunden vorher abgesetzt werden. Das bedeutet aber auch, dass es ebenso wie beim Phenprocoumon eine Lücke im Schutz gibt, wenn auch kürzer. Ist das wirklich sicherer? Die Indikation wird mit dem Lebensalter häufiger. Reicht die niedrigere Dosis bei Niereninsuffienz aus, um trotz fehlender Messmöglichkeit auf der sicheren Seite zu bleiben?

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Praxisbesonderheit bei Arzneimitteln mit Zusatznutzen Ein Beitrag aus dem Verordnungsforum unseres Kooperationspartners, der KV Baden-Württemberg Seit dem Inkrafttreten des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) Anfang 2011 werden neue Arzneistoffe einer frühen Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) unterzogen. Das Ausmaß eines hierbei möglicherweise festgestellten Zusatznutzens eines Arzneimittels bestimmt seinen Erstattungspreis. Folgender Beitrag wurde in Abstimmung mit den Landesverbänden der Krankenkassen und dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) erstellt. GKV-Spitzenverband und das betreffende pharmazeutische Unternehmen sollen spätestens sechs Monate nach dem Beschluss des G-BA zum jeweiligen Arzneimittel Erstattungsvereinbarungen nach § 130b SGB V abschließen. Neben der Höhe des Erstattungsbetrags können – nach Gesetzestext – diese Vereinbarungen auch vorsehen, dass Verordnungen der Arzneimittel bei denjenigen Indikationen, in denen der G-BA dem Wirkstoff einen Zusatznutzen zugesprochen hat, als Praxisbesonderheiten im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen gelten. Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Heftes war lediglich für die drei folgenden Arzneimittel in den Erstattungsvereinbarungen eine entsprechende Regelung zur Berücksichtigung als Praxisbesonderheit formuliert: Zytiga® (Wirkstoff: Abirateronacetat) Esbriet® (Wirkstoff: Pirfenidon) Brilique® (Wirkstoff: Ticagrelor) (Cave! Gilt nur für die Indikationen instabile Angina pectoris und Myokardinfarkt ohne ST-Strecken-Hebung – NSTEMI) (Beleg für einen beträchtlichen Zusatznutzen) sowie Myokardinfarkt mit ST-Strecken-Hebung (STEMI) und perkutane

Koronarintervention bei Patienten ≥75 Jahre, die nach einer individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung nicht für eine Therapie mit Prasu­grel + ASS infrage kommen, oder bei Patienten mit transitorischer ischämischer Attacke oder ischämischem Schlaganfall in der Anamnese (auf Anhaltspunkten basierender nicht quantifizierbarer Zusatznutzen). Entsprechend den Erstattungsvereinbarungen sind diese Arzneimittel ab dem ersten Behandlungsfall als Praxisbesonderheit nach § 106 Abs. 5a SGB V in dem Anwendungsgebiet mit einem Zusatznutzen laut G-BA-Beschluss anzuerkennen. Aus diesem Grund bedarf es bei diesen Arzneimitteln vor Anerkennung als Praxisbesonderheit im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen einer stichprobenhaften Überprüfung, ob die Voraussetzungen für einen Zusatznutzen im Einzelfall vorgelegen haben. Verordnungen dieser Arzneimittel für Patienten, für die kein Zusatznutzen entsprechend dem Beschluss des G-BA besteht, sind nicht verpflichtend als Praxisbesonderheiten anzuerkennen. Dies gilt ebenso für die Verordnung von anderen Arzneimitteln mit nachgewiesenem Zusatznutzen, in deren Erstattungsvereinbarungen keine Regelung zur Berücksichtigung als Praxisbesonderheit getroffen wurde. Somit gilt, dass auch bei der Verordnung von Arzneimitteln, deren Erstattungsbetrag im Rahmen der frühen Nutzenbewertung vereinbart wurde, es weiterhin in jedem Einzelfall der Abwägung bedarf, ob die gewählte Verordnung im Hinblick auf die individuelle Patientensituation wirtschaftlich ist.

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Nr. 4 / 2014

Hijacking von schutzlosen Patienten Dr. med. Joachim Seffrin Es gibt doch immer wieder Dinge, die man sich so früher nicht vorstellen konnte. Die New York Times [1] berichtete über Patienten, die sich in New York chirurgischen Eingriffen an der Wirbelsäule unterziehen mussten. Bei diesen Operationen wurden zur Unterstützung externe Chirurgen hinzugezogen, von denen die Patienten vorher nichts wussten. Hatten jene den Eingriff zunächst gut überstanden, traf sie wenige Wochen nach der Operation fast der Schlag, als sie ihre Rechnungen erhielten. Zusätzlich zu den mit dem Operateur der Klinik vereinbarten Honoraren tauchten Forderungen von bis zu 117.000 $ auf. Diese Honorarforderung stellte der so genannte drive-by-doctor, der von dem eigentlichen Operateur zur Assistenz gerufen worden war und diesen beim Eingriff unterstützt hatte. Gelegentlich haben sich Operateur

und drive-by-doctor das zusätzliche Honorar geteilt, manchmal auch nicht. Interessanterweise haben die Versicherer zur Verwunderung ihrer Klienten diese exorbitanten Forderungen beglichen. Wundert man sich hierzulande über manch unsinnige, nutzlose, nicht selten auch teure IGELLeistungen, die hilfesuchenden Patienten aufgeschwätzt und gelegentlich sogar aufgedrängt werden, stellen doch diese Vorgehensweisen, wie man Patienten ausplündert, einen neuen Tiefpunkt ärztlichen Handelns dar. Man kann nur hoffen, dass unser System in Deutschland solche Wildwestmethoden nicht zulässt.

Quelle: The New York Times vom 21. September 2014

Fahrtauglichkeit von Diabetikern Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt – www. bast.de) hat ihre Begutachtungsleitlinien für Diabetiker aktualisiert. Diabetiker mit niedrigem Hypoglykämierisiko (alle Therapieformen außer jenen mit Sulfonylharnstoffen und ihren Analoga sowie Insulin) können ohne Einschränkung Auto oder Motorrad fahren, sofern ihr Stoffwechsel stabil ist und keine Folgeschäden des Diabetes vorliegen. Für ein Steuern von Fahrzeugen der Klasse 2 (LKW, Taxi, Omnibus) muss der Patient nachweisen, dass er seinen Stoffwechsel in den letzten drei Monaten stabil

halten konnte. Die Einnahme von Medikamenten erfordert regelmäßige ärztliche Kontrollen, bei der Einnahme von Sulfonylharnstoffen oder Insulin ist alle drei Jahre eine fachärztliche Begutachtung erforderlich. Dabei ist auch die Fahrzeugnutzung zu berücksichtigen (z.B. nur Fahren auf einem Betriebsgelände). Quelle: Pharm. Ztg. 2014; 159(23): 56

Dr. med. Günter Hopf

Die kompletten Begutachtungsleitlinien finden Sie auf der Webseite der BASt unter www.bast.de/DE/FB-U/Fachthemen/BLL/BLL-Hintergrund.html

Fazit für die Praxis: Wichtiger als ein möglichst niedriges HbA1c ist es, zusammen mit dem Patienten die individuellen Therapieziele festzulegen. Bei der Therapieentscheidung muss auch der Einfluss eventueller Hypoglykämien auf die Fahrfähigkeit und deren Bedeutung für den Patienten berücksichtigt werden.

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Durchbruch in der Behandlung von Patienten mit Alopecia areata? Dr. med. Joachim Seffrin Alopecia areata ist ein in der Allgemeinarztpraxis häufig geklagtes Problem. Meist sind nur kleine Stellen der Kopfhaut befallen, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Manche Patienten müssen jedoch ausgedehnten bis kompletten Haarverlust hinnehmen. Im August berichtete die Zeitschrift Nature Medicine [1] über Fortschritte in der Behandlung der Alopecia areata.

Der Wirkstoff ist in Deutschland unter dem Handelsnamen Jakavi® erhältlich und u.a. für die Behandlung der primären Myelofibrose zugelassen. Die Kosten liegen übrigens für 28 Tage bei rund 3.700 €. Doch das eigentliche Problem der Behandlung mit diesen Wirkstoffen besteht in ihren bedenklichen potenziellen Nebenwirkungen. Darunter befinden sich zunächst Thrombozytopenie und Anämie. Fragwürdiger sind wohl die vielDiese Erkrankung beruht auf einer Autoim- fältigen ernsten Infektionsrisiken, die mit der munreaktion, bei der die Haarfollikel bekämpft Behandlung einhergehen. Die Immunabwehr wird und zerstört werden. Die Behandlung z.B. mit gefährlich beeinträchtigt und die Patienten müssen unter dieser Therapie lokalen Steroiden war bisdas Auftreten bakterieller her frustrierend und wenig Infektionen, Pilzinfektionen, überzeugend. Auch die AnIst volles Haar die Zosterinfektionen und Aufwendung der Quadratsäure Lebensgefahr wert? flammen von mykobakterikonnte nicht überzeugen, ellen Infektionen fürchten. führt diese doch über eine Nicht zuletzt ist mit einer allergische Reaktion zu einer ausgeprägten Ekzematisierung, die ähnlich inak- erhöhten Rate an Krebserkrankungen zu rechnen. zeptabel ist wie die Erkrankung selbst. Ein Team an der Columbia University hat bei Mäusen, die spontan Alopecia areata entwickeln, gefunden, dass die so genannte Janus Kinase (JAK) eine besondere Rolle im Krankheitsprozess spielt. Die lokale Behandlung mit JAK-Inhibitoren führte zu einem Wachstum der Haare und dem Rückgang der Erkrankung. In einem Versuch wurde fünf Patienten der Wirkstoff Ruxolitinib [2] oral verabreicht, die nach Angaben der Forscher innerhalb von fünf Monaten eine nahezu komplette Remission erlebten. Bemerkenswert ist, dass für diese nicht lebensbedrohliche Erkrankung eine solche Intervention gewagt wurde (Nebenwirkungsrisiken siehe unten!) und die Ethikkommission dieser zugestimmt hat.

Letztlich eine spannende, interessante Entdeckung, die manchem schwer betroffenen Patienten eine Hoffnung spenden mag. Die möglichen Nebenwirkungen dürften aber einer Therapie im Wege stehen. Literatur: 1 Xing L et al., Alopecia areata is driven by cytotoxic T lymphocytes and is reversed by JAK inhibition, Nature Medicine, 20, 1043– 1049 (2014) 2. www.australianprescriber.com Volume 37 Number 5 October 2014 3. http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/alopecia-areatastudie-gibt-hoffnung-bei-kreisrundem-haarausfall-a-988527.html (Abfrage 4. Oktober 2014)

PS: Bei meiner Recherche habe ich entdeckt, dass sogar Spiegel Online darüber berichtet hat [3]. Eventuell werden Patienten Sie mit Fragen konfrontieren.

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Nr. 4 / 2014

S1-Leitlinie – mit der Lupe eines Kardiologen gelesen Zu unserem Beitrag „Duale Plättchenhemmung – neue Thrombozytenaggregationshemmer in der hausärztlichen Versorgung“ in KVH aktuell 3/2014, Seite 23. Die umfassende und praxisorientierte Leitlinie der Plättchenhemmung bei KHK referiert die beiden großen Indikationsgruppen der KHK: 1. Die stabile koronare Hererkrankung und 2. Das akute koronare Syndrom. Kommentar zu 1 Der Leser wird ein wenig im unklaren gelassen, was er bei Kontraindikationen für ASS/Clopidogrel nach Stentimplantation machen soll. Zunächst ist das ein Thema, das den interventionellen Kardiologen fordert: DER muß sich überlegen, ob und wann in so einer Situation eine Stentimplantation wirklich sicher und gerechtfertigt ist. Er muß und wird dann auch genaue Anweisungen für die Nachbehandlung mit Thromboztenaggregationshemmern machen, für die er auch verantwortlich ist. „Drückt“ sich der Interventionalist davor, „vergißt“ er es oder treten die Kontraindikationen erst im Verlauf auf, fehlt hier eine Angabe, was der Leser/Hausarzt dann tun soll. Es käme bei ASS-Kontraindikation eine Höherdosierung des Clopidogrel in Betracht, gekoppelt an eine Thrombozytenfunktionstestung. Schwierig wird es, wenn objektiv Kontraindikationen gegen Clopidogrel bestehen. Dann hätte der Interventionalist eher auf den Stent zugunsten einer anderen (medikamentösen oder operativen) Therapie verzichtet. Schwer tue ich mich bei der Empfehlung, dass bei einem medikamentenbeschichteten Stent (DES) Clopidogrel nur für 6 Monate zum ASS eingenommen werden soll – zumal hier nur eine einzelne Studie (PRODIGY) das Vorgehen stützt, Clopidogrel verkürzt (6 Monate) zu geben; in dieser Untersuchung war aber der Vergleichsgruppe die duale Plättchenhemmung mit Clopidogrel und ASS 24 Monate gegeben worden, was sicherlich zum Teil die erhöhten Blutungsraten erklärt. Die vollständige Endothelialisierung (und damit das Ende der Stentthrombosengefahr) hängt doch sehr von der Art des DES ab und davon, wie und mit welchen Inflationsdrucken die Implantation ablief: Die Gefahr einer Stentthrombose bei einem noch nicht voll endothelialisierten Stent ist sehr hoch.

Ich tendiere dazu, hier weiterhin Clopidogrel für 12 Monate zu geben – bis mehrere randomisierte Studien bei genau definierten Stenttypen hier Klarheit bringen können. Kommentar zu 2 Bei der Indikationsstellung für die teure Therapie mit Ticagrelor sollte der Verordner darauf achten, dass die Kriterien für ein akutes koronares Syndrom wirklich erfüllt sind: Signifikante neue ST-Streckenveränderungen im Aufnahme-EKG des Krankenhauses oder ein relevanter Troponinanstieg auf über 0,08 mg pro Liter. Und dies nicht bei vorbestehender Niereninsuffizienz: Die genannten Voraussetzungen waren nämlich die Einschlußkriterien für die zur Zulassung führende Studie PLATO, die zur Grundlage der Leitlinienempfehlungen herangezogen wird – war das Troponin normal, gab es keinen Vorteil des Ticagrelor. Schwer tue ich mich bei der Grundsatzempfehlung „Ticagrelor für ein Jahr zum ASS“, wenn a) bei der Akutbehandlung das Infarktgefäß nicht eröffnet werden konnte b) kein Stent (sondern Bypass-OP oder rein medikamentöse. Therapie) eingebaut wurde, weil der große Benefit in der Studie sich vor allem durch die Vermeidung von Stentthrombosen ergibt. Für die Subgruppen von a) und b) ergibt sich in der PLATO-Studie kein Hinweis auf einen signifikanten Vorteil. Die Patienten, die Ticagrelor nicht vertragen, sollten entgegen der S1-Leitlinie eigentlich unabhängig vom implantierten Stent über 12 Monate Clopidogrel einnehmen – so jedenfalls alle Leitlinien vor der Etablierung des Medikamentes Ticagrelor. Die Feststellung, dass beim akuten Koronarsyndrom „Prasugrel nicht indiziert ist (NutzenRisiko(Blutungs-Verhältnis ungünstig)“ entspricht nicht der Datenlage oder den Empfehlungen der Fachgesellschaften AHA, ESC, DGK. Dr. med. Christian Albrecht, Internist, Kardiologe Königstein

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Neue „Wundermittel“ Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) warnt vor der Anwendung des Produkts „Miracle Mineral Supplement“. In Spam-E-Mails und über das Internet wird dieses Natriumchlorit-haltige Präparat unter anderen als Mittel gegen Krebs, Malaria und chronische Infektionen beworben. Natriumchlorit setzt, mit einer Säure versetzt, Chlordioxid frei, das mit erheblichen Gesundheitsgefahren (Verätzungen) verbunden ist. Bei Rheumatikern sind pflanzliche Präparate beliebt. Ein bräunliches, nach Zimt riechendes Pulver, erworben in Vietnam, wurde von einer Patientin zur Untersuchung vorgelegt. Ein undeklariertes Pulverbriefchen mit 2,6 g Pulver enthielt zwar einige Zellwandbestandteile von Zimtrinde, überwiegend

jedoch 863 mg Paracetamol, dazu noch 262 mg Sulfamethoxazol (Bestandteil des Antibiotiku*ms Cotrim) und 42 mg Indometacin. Diese irrationale Mischung kann bei Einnahme mehrerer Briefchen und zusätzlicher freiverkäuflicher Mengen Paracetamol-haltiger Arzneimittel zu schwerwiegenden Leberschäden und bei dauerhafter Einnahme zu einer Antibiotikaresistenz führen. Der Glaube an Wundermittel ist wohl nicht auszurotten. Ärztinnen und Ärzte sollten zur Aufklärung beitragen und vor allem vor undeklarierten Präparaten eindringlich warnen. Quellen: Pharm. Ztg. 2014; 159(19): 34 und 159(23): 109

Dr. med. Günter Hopf

Acitretin – teratogene Effekte langfristig ausschließen! Die Teratogenität von Acitretin (Acicutan®, Neotigason®) ist bekannt. Nach Absetzen der Therapie soll nach Herstellerangaben noch zwei Jahre jede Schwangerschaft ausgeschlossen werden. Die lange Halbwertszeit dieser Arzneistoffe im Fettgewebe hat zu Empfehlungen in den USA geführt, insgesamt drei Jahre nach der letzten Einnahme eine Schwanger-

schaftsverhütung durchzuführen. Zum Schutz von Frauen im gebärfähigen Alter sollte diese längere Frist eingehalten werden. Dies gilt auch für Etretinathaltige Arzneimittel (in Deutschland aus dem Handel). Quelle: Prescrire internat. 2013; 22: 213

Dr. med. Günter Hopf

Empfohlener Zielblutdruck zu niedrig? Nach Empfehlungen europäischer Gesellschaften soll bei der Therapie der Hypertonie ein Zielblutdruck von 140/90 mmHg angestrebt werden, bei Hochbetagten gelten Werte zwischen 140 und 150 mmHg als ausreichend. Bei Diabetikern werden diastolische Werte zwischen 80 und 85 mmHg empfohlen. In einer pharmakritischen Zeitschrift wird eine systematische Zusammenfassung von vier Studien an circa 9.000 Hypertonikern zitiert, nach der eine antihypertensive Therapie bei Werten zwischen 140/90 und 160/95 mmHg bei Patienten ohne

kardiovaskuläre oder renale Erkrankungen die gefürchteten Komplikationen einer Hypertonie wie Schlaganfall oder KHK nicht verringerte. Statistisch traten, nicht verwunderlich, vermehrt unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf (eingesetzte Arzneistoffe: Thiazide, Betablocker). Die Autoren empfehlen bei dieser Patientengruppe ohne zusätzliche Risiken vermehrte Bewegung, reduzierte Salzzufuhr und eventuell eine Reduzierung des Körpergewichtes und des Alkoholkonsums. Quelle: Prescrire internat. 2014; 23: 106

Dr. med. Günter Hopf

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Nr. 4 / 2014

SGLT2-Inhibitoren gegen Diabetes: Ausschuss sieht keinen Zusatznutzen Immer wieder versucht die Arzneimittelwerbung für die neuen blutzuckersendenden Wirkstoffe der SGLT2-Hemmer den Eindruck zu erwecken, dass diese eine bessere Wirkung bei der Behandlung des Diabetes mellitus Typ II hätten, als eine bisherige Standardtherapie. Nach der Nutzenbewertung des G-BA weisen Dapagliflozin in der Monotherapie und in der Kombinationstherapie mit Metformin sowie Canagliflozin in der Monotherapie und in der Kombinationstherapie mit anderen blutzuckersendenden Substanzen,

u. a. auch Insulin, keinen Mehrnutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie des G-BA auf. Bei dieser handelt es sich um die evidenzbasierte Standardtherapie des Diabetes mellitus Typ II entsprechend den Leitlinien. Bei dem zuletzt zugelassenen SGLT2-Inhibitor Empagliflozin ist die Nutzenbewertung nach AMNOG durch den G-BA noch nicht abgeschlossen. Dr. med. Wolfgang LangHeinrich

Bewertungen von Arzneimittelrisiken Die Bewertung von Arzneimittelrisiken gehört zu den schwierigsten Aufgaben einer Arzneimittelüberwachungsbehörde. Vor allem die Einschätzung, ob ein Nutzen für einige Menschen oder Menschengruppen das mögliche Risiko für andere Gruppen überwiegt, ist insbesondere bei neu zugelassenen Arzneimitteln mit einem hohen Unsicherheitsfaktor verbunden. Aber auch bei alten, „bewährten“ Arzneistoffen können neu entdeckte Risiken oder die wachsende Anzahl bekannter Risiken zu einer Neueinschätzung führen. Die untenstehende Tabelle zeigt einige Beispiele. Im Gegensatz zu angelsächsischen Ländern, in denen eine utilitaristische Ethik mit dem Ziel eines maximalen Nutzens für die gesamte Gesellschaft vertreten wird, wird bei uns überwiegend eine

Jahr 2010 2011 2011 2014

Arzneistoff Sibutramin Bufexamac Buflomedil Metoclopramid

Indikation Adipositas Dermatitis pAVK Übelkeit, Erbrechen

Debatte über Risiken im Sinne der Kant’schen Ethik geführt: Den Rechten des Individuums kommt eine hohe Bedeutung zu. Welche Ethik man auch vertritt, Arzneimittelrisiken müssen offengelegt und das aktuell bekannte Nutzen/Risikoverhältnis benannt werden (siehe Oseltamivir-Diskussion zum Nutzen der Neuraminidasehemmer zur Grippeprophylaxe). Generell kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, auf unerwünschte Wirkungen zu achten und diese an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zu berichten (auch Verdachtsfälle). Dr. med. Günter Hopf Quelle: Pharm.Ztg.2014;159:28

Risiken kardiovaskuläre Komplikationen Allergien neurologische, kardiale Komplikationen kardiovaskuläre, neurologische UAW

Beispiele für neu entdeckte Risiken bei altbekannten Medikamenten

Auf den beiden folgenden Seiten stellen wir Ihnen eine Kurzfassung der S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin zu den neuen oralen Antikoagulanzien bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern vor.

DEGAM S1-Handlungsempfehlung

Neue orale Antikoagulanzien

(bei nicht valvulärem Vorhofflimmern) Versorgungsproblem:

Als Standard für die orale Antikoagulation gilt die Behandlung mit einem Vitamin-K- Antagonisten (VKA)1. Zusätzlich sind jetzt neuere Wirkstoffe, die sogen. neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) für die Indikation nicht-valvuläres Vorhofflimmern zugelassen2. Zum Gebrauch dieser NOAK gibt es unterschiedliche Empfehlungen und Bewertungen. Diese Empfehlung und der folgende Algorithmus enthalten Ratschläge der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) zum Einsatz der NOAK und gelten ausschließlich für den ambulanten, hausärztlichen Versorgungsbereich. Die Hinweise sollen Hausärztinnen und Hausärzte bei notwendigen Entscheidungen in der täglichen Praxis unterstützen. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und gelten nur solange, bis neuere Empfehlungen sie ablösen. Bitte prüfen Sie Aktualisierungen immer auf der Internetseite der DEGAM www.degam. de. Diese Handlungsempfehlung bezieht sich ausschließlich auf Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern, bei denen eine Indikation zur längerfristigen Antikoagulation nach dem CHADS2- oder CHA2DS2VASc-Score besteht.

Chancen und Risiken der NOAK:

Die NOAK stellen eine Option für diejenigen Patienten dar, für die VKA nicht infrage kommen (siehe Rückseite). Es ist keine regelmäßige Gerinnungskontrolle erforderlich (und nicht möglich). Vor und während der Anwendung der NOAK soll in jedem Fall die Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance nach co*ckcroft-Goult, www. medcalc.com) überprüft werden. Dosisanpassungen sind je nach eingesetzter Substanz und Komorbitität erforderlich bei Niereninsuffizienz, höherem Alter, bestimmten Komedikamenten, niedrigem Körpergewicht, Magen-Darm-Anamnese, hohem Blutungsrisiko. Indikation, Kontraindikationen, Dosierungsempfehlungen und Warnhinweise der Fachinformationen sind genau zu beachten. Jeder Patient mit NOAK soll einen Patientenaus-

weis erhalten, über die Risiken der Therapie, die Notwendigkeit regelmäßiger ärztlicher Kontrollen und über das Problem eines fehlenden Antidots aufgeklärt werden.

Statement:

Insgesamt ergeben sich aus Sicht der DEGAM für Patienten in Deutschland, die zur Prophylaxe kardio-embolischer Erkrankungen bei Vorhofflimmern mit VKA gut zu behandeln sind, keine Vorteile aus einer Therapie mit NOAK. Es gibt eine ernstzunehmende Kritik an den drei Zulassungsstudien, die allesamt Nicht-Unterlegenheits-Studien sind. Es bleibt außerdem unklar, welche Relevanz eine in den Studien nachweisbare marginale Risikoreduktion 3 im klinischen Alltag besitzt, insbesondere bei Patienten, die gut eingestellt sind oder eine INR-Selbstkontrolle durchführen. Bei höherem Alter, niedrigem Körpergewicht, Polymedikation, unsicherer Therapietreue, TAHund/oder NSAR-Einnahme, Multimorbitität, Magen- und Blutungsanamnese und erhöhtem Blutungsrisiko bestehen unbekannte Risiken. Zu berücksichtigen ist, dass keine Langzeiterfahrungen in der breiten Anwendung existieren. Die NOAK benötigen eine erhöhte Aufmerksamkeit. Unerwünschte Ereignisse sollen bei der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), www.akdae.de gemeldet werden.

Weitere Informationsquellen:

AkdÄ: Orale Antikoagulation bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern (Version 1.0; September 2012). Canadian Agency for Drugs and Technologies in Health: Antithrombotic agents for the prevention of stroke and systemic embolism in patients with atrial fibrillation, www.cadth.ca Ottawa: The Agency; 2013. (CADTH Therapeutic Review; vol.1, no. 1b). Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN): Antithrombotics: indications and management, http://www.sign.ac.uk Edinburgh: SIGN; 2012. (SIGN publication no. 129). [August 2012].

VKA/Cumarine: Phenprocoumon (Marcumar®, Falithrom®, Generika) oder Warfarin (Coumadin®). NOAK: Faktor Xa-Hemmstoff Rivaroxaban (Xarelto®) und Apixaban (Eliquis®) und der Thrombinhemmstoff Dabigatran (Pradaxa®) 3 Das Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IGWiG) hat in seiner Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V vom 27.03.2013 für Patienten der VKA-Population in der ARISTOTLE-Studie mit Alter ≥65 Jahren einen Hinweis für einen Zusatznutzen von Apixaban gegenüber Warfarin festgestellt 1 2

Autoren: H.-O. Wagner und A. Liesenfeld Konzeption und wissenschaftliche Redaktion: M. Scherer, C. Muche-Borowski, A. Wollny Version 1.0, Stand 2013; © DEGAM www.degam-leitlinien.de

XtraDoc Verlag Dr. Wiedemann, Winzerstraße 9, 65207 Wiesbaden PVSt Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt, 68689

PH863453V

Neue orale Antikoagulanzien

S1-Handlungsempfehlung

Orale Antikoagulation bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern

(Bei gegebener Indikation nach CHADS2-/ CHA2DS2VASc-Score und gemeinsamer Entscheidung mit dem Patienten) ja ja

mit

Therapie mit OAK bereits begonnen (mit NOAK oder VKA )

NOAK abklären

mit

VKA

nein

NOAK können eine Option sein für Patienten, ja die mit VKA schlecht einzustellen sind oder eine erhöhtes Risiko für Interaktionen haben. Liegt diese Voraussetzung vor? a nein

abklären: Wäre zum jetzigen Zeitpunkt eine Umstellung von NOAK auf VKA möglicherweise problematisch oder besteht ein Patientenwunsch für NOAK? c

ja

abklären

abklären: War eine Therapie mit VKA früher bereits schwierig oder könnte schwierig werden und/oder ist die regelmäßige Kontrolle des INR-Wertes schwierig und/oder besteht für VKA ein erhöhtes Risiko für Nahrungsmittel- oder Arzneimittel-Interaktionen? a ja

nein

nein

VKA indiziert

ja

NOAK

nein

erwägen d

ja

liegen Kontraindikationen für NOAK vor? b mechanische Herzklappe oder duale TAH oder schwere Lebererkrankung oder schwere Niereninsuffizienz CrCl < 30-15 ml/min b

Antikoagulantien; NOAK: Neue orale Antikoagulantien; VHF: Vorhofflimmern; VKA: Vitamin-K-Antagonisten; OAK:OAK: OraleOrale Antikoagulantien; NOAK: Neue orale Antikoagulantien; VHF: Vorhofflimmern; VKA: Vitamin-K-Antagonisten; CrClr: Kreatininclearance; TAH:Thrombocytenaggregationshemmung; Thrombocytenaggregationshemmung; NSAR: nicht-steroidale Antirheumatika; CrClr: Kreatininclearance; TAH: NSAR: nicht-steroidale Antirheumatika; INR: International Normalized Ratio INR: International Normalized Ratio a keine Indikationen für NOAK: gute Einstellbarkeit mit VKA (INR stabil im therapeutischen Bereich), erhöhte a keine Indikationen für NOAK: gute Einstellbarkeit mit VKAhttp://www.medcalc.com (INR stabil im therapeutischen erhöhte Blutungsgefährdung/erhöhter HAS >2Bereich), (cave: fehlendes Antidot), Blutung Blutungsgefährdung/erhöhter HAS BLED-Score, BLED-Score, >2 (cave: fehlendes Antidot), Blutung unter VKA bei INR im Zielbereich unter VKAhttp://www.medcalc.com bei INR im Zielbereich b weitere Kontraindikationen für NOAK: Schwangerschaft, Stillperiode, Kinder und Jugendliche, systemische b weitere Kontraindikationen für NOAK: Schwangerschaft, Stillperiode, Kinder und Jugendliche, systemische Antimykotika, Makrolidantibiotika, Antimykotika, Makrolidantibiotika, Dialyse, CrCl

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Author: Melvina Ondricka

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